Abschied der Finnen

Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Und die Vorfreude bis zu diesem Konzert hat für mich besonders lange angedauert. Das Ticket hatte ich zu meinem Geburtstag geschenkt bekommen und seither verstrichen acht Monate, bis der langersehnte Abend endlich da war.

Abschied der Finnen

Fünfzehn Minuten nach Türöffnung herrschte vor dem X-tra in Zürich grosser Andrang. Die klirrende Winterkälte liess die Menschenmenge nicht lange draussen warten, sondern lockte alle schnell in den schon gut gefüllten Konzertsaal. Innert kürzester Zeit konnte man das Ende der Halle nur noch erahnen. Das Konzert war ausverkauft.

Für HIM eröffnet hat die Band «Biters» aus Atlanta. Mit gradlinigem 80ies Rock haben die Biters das Publikum aufgeheizt und ein 45-minütiges Set gespielt. Gemäss eigener Aussage hatten die Biters auf ihrer bisher zweiwöchigen Tournee mit HIM erst einmal das Vergnügen, Ville Valo backstage zu begegnen. «Ville Valo is the most beautiful man I`ve ever seen», wird dieses Zusammentreffen kurz und bündig auf den Punkt gebracht.

Pünktlich um 21.00 Uhr gingen dann die Lichter aus und HIM betraten die Bühne. Das Publikum tobte und jubelte der Band zu. In den vordersten Reihen herrschte ein unglaubliches Gedränge. Alle wollten einen Blick erhaschen und möglichst nahe bei der Band stehen.

HIM eröffneten mit «Buried Alive By Love» und spielten die ersten vier Songs ohne Unterbruch. Leider konnte Sänger Ville Valo bei den ersten Songs stimmlich noch nicht überzeugen. Als wüsste er selber, dass er die Töne sowieso nicht trifft, brüllte er ins Mikrofon, als spiele es ohnehin keine Rolle mehr. Es entstand der Eindruck, dass Ville vor dem Konzert irgendeine Substanz konsumiert hatte, was sich auf seine Performance auszuwirken schien. Eben «the most beautiful man» und nicht «the best singer I`ve ever heard». Trotzdem war das Publikum ausser sich und jubelte den Finnen unbeirrt zu. Natürlich im Wissen, dass es wahrscheinlich das letzte Mal sein wird. Denn HIM hatten im Frühjahr 2017 ihre Bandauflösung bekannt gegeben und das Konzert im X-tra war das letzte von ihnen in der Schweiz.

Weiter ging es mit dem Hit «Wings Of A Butterfly», abgelöst vom nächsten Ohrwurm, «Gone With The Sin». Die Setlist war ein absolutes Best of und eine gut durchdachte Zusammenstellung der grössten Hits der Bandkarriere.

Im letzten Drittel des Konzerts stimmte die Band plötzlich «Join Me» an, mit dem sie 1999 ihren Durchbruch geschafft hatten. Eine Überraschung, dass dieser Song nicht bis zur Zugabe warten musste. Ville Valos Gesangsleistung hatte im Verlauf des Konzerts deutlich an Qualität zugenommen, sodass dieser Hit wirklich toll rüberkam. Ein epischer Moment, diesen Song überhaupt und wohl das letzte Mal live hören zu dürfen.

Nach 19 gespielten Songs verabschiedete sich die Band von der Bühne, doch die Zugabe liess nicht lange auf sich warten. Sie kehrten zurück an die Mikrofone und an ihre Instrumente und bretterten eine Coverversion von Billy Idiols «Rebel Yell» hin. Das Publikum sang lauthals mit und zeigte bei den letzten Tönen nochmals vollen Einsatz.

Die zweite und somit letzte Zugabe war der Song «When Love And Death Embrace». Die Stimmung war Gänsehaut erregend. Ville Valo sang diesen Song so gefühlvoll mit Herz und Seele, man konnte quasi den Funken auf das Publikum überspringen sehen. Nach der letzten Textzeile jedoch liess Ville das Mikrofon wortwörtlich fallen und verabschiedete sich von der Bühne. Die Band spielte die letzten Noten und verschwand anschliessend unter tosendem Applaus hinter dem roten Vorhang.

Das Konzert war ein absolut einmaliges und unvergessliches Erlebnis. Die Band brauchte zwar zu Beginn eine etwas längere Aufwärmzeit, doch die Grundstimmung des Abends war durchwegs überzeugend. Auf jeden Fall ein würdiges letztes Schweizer Konzert.

Ein paar persönliche Gedanken zum Schluss:

Mich persönlich hat das Konzert nicht nur musikalisch, sondern auch zwischenmenschlich sehr berührt. Ich hatte im Vorfeld viel über Ville Valos Werdegang, seine Karriere und seine Suchtprobleme gelesen. Ich war fasziniert von diesen Mythen und wusste nicht genau, was mich am Konzert erwarten würde.

Einerseits hatte Valo mit 15 Jahren die Schule abgebrochen, um Musik machen zu können. Andererseits betonte er in Interviews immer wieder, wie anstrengend das Musikerleben und die Tourneen seien; jeden Abend in einer anderen Stadt aufzutreten und immer wieder die gleichen Songs zu spielen. Er flüchtete sich in Alkohol und Drogen.

Nun stand er vor mir auf der Bühne. Ein vom Leben gezeichneter Mann mit sichtbaren Spuren seiner Vergangenheit. Völlig in seiner eigenen Welt, spulte er einen Song nach dem anderen runter und doch war dabei Freude erkennbar. Von den Fans bejubelte Hassliebe.

Ich hoffe sehr, dass das Ende von HIM auch gleichzeitig ein Neuanfang für Valo bedeutet und er die Schattenseiten des Showgeschäfts hinter sich lassen kann.

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